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Die Europäische Zentralbank dürfte sich in der kommenden Woche leicht tun mit ihrer Zinsentscheidung: Im Windschatten der klar absehbaren Zinssenkung in den USA am 18. September werden Europas Währungshüter voraussichtlich ihren zweiten Zinsschritt nach unten vollziehen. Rückenwind erhalten sie auch von den aktuellen Inflationsdaten im Euroraum, die im August nahe an die 2 Prozent-Zielmarke der EZB heranrücken.
Mit der Leichtigkeit könnte es dann allerdings schnell vorbei sein, und das weiß auch EZB-Chefin Christine Lagarde. Ihr jüngster Hinweis, man orientiere sich nicht an einzelnen Datenpunkten, zielt bereits auf den Herbst: Dann nämlich dürfte die Inflationsrate im Euroraum wieder anziehen – übrigens infolge negativer Basiseffekte selbst dann, wenn die Preisentwicklung von Monat zu Monat dem Zielwert der EZB entsprechen sollte.
Zwar ist die Lohndynamik im zweiten Quartal merklich zurückgegangen, aber die nominalen Stundenlöhne liegen aktuell immer noch um 3,8 Prozent über dem Vorjahresniveau. Die Preise für Dienstleistungen sind in den ersten sieben Monaten des Jahres im Durchschnitt um mehr als 0,4 Prozent pro Monat gestiegen – auf ein Jahr hochgerechnet ergibt sich eine Preissteigerungsrate von mehr als 5 Prozent. Sollten die Preise weiter steigen, dürfte die Inflation zum Jahresende sogar wieder in der Nähe von 3 Prozent liegen.
Der EZB droht also ein stagflationäres Umfeld und damit schon bald eine höchst ungemütliche Entscheidungssituation: Die Inflationsentwicklung erfordert eigentlich ein Festhalten an hohen Zinsen. Die anhaltend schwache konjunkturelle Dynamik im Euroraum könnte aber gleichzeitig das Argument fördern, mit Zinssenkungen die Wirkung der restriktiven Geldpolitik auf die Wirtschaft abzuschwächen. Die Erfahrung zeigt, dass es im EZB-Rat Verfechter für beide Ansätze gibt, kontroverse Diskussionen sind also wahrscheinlich. Wer sich hier letztlich durchsetzt und welche Position Christine Lagarde einnimmt, ist kaum abzuschätzen. Für Finanzmärkte wie auch für Unternehmen bedeutet dies ein zusätzliches Unsicherheitsmoment. Eine schnelle Abfolge weiterer Zinssenkungen ist jedenfalls nicht automatisch das wahrscheinlichste Szenario, auf das sich Investoren einstellen können.