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Die Erwartungen der Finanzmärkte bezüglich der zinspolitischen Entscheidungen der amerikanischen Notenbank sind ein entscheidender Faktor für die Entwicklung der langfristigen Zinsen. Die Analyse der Zinserwartungen in den vergangenen Monaten zeigt starke Schwankungen, obwohl sich an der fundamentalen Lage nichts Wesentliches geändert hat: Vor einem halben Jahr glaubten die Märkte, dass die Fed ihren Leitzins noch eine ganze Weile auf dem erreichten Niveau belassen und im Laufe des Jahres 2024 insgesamt drei Zinssenkungen um insgesamt 75 Basispunkte vornehmen werde. Drei Monate später, zum Jahresbeginn 2024, wurde die erste Zinssenkung bereits im März erwartet, und man rechnete damit, dass insgesamt sechs oder sogar sieben Zinsschritte nach unten bis zum Jahresende folgen würden. Jetzt, zum Beginn des zweiten Quartals, sind die Markterwartungen wieder genau dort, wo sie vor einem halben Jahr bereits waren.
Damals wie heute verfolgt die amerikanische Notenbank vor allem das Ziel, die Inflation auf den angestrebten Wert von 2 Prozent zurückzuführen. Sie folgt dabei einem datenbasierten Ansatz und betont stets die signifikanten Unsicherheiten hinsichtlich der Zielerreichung. Doch während die Zinserwartungen der Märkte ein spekulatives Element enthalten, entwickelte sich die Inflation weitgehend so, wie es ökonomische Analysen erwarten ließen – und war deshalb keinesfalls überraschend: Im Oktober lag die Teuerungsrate, gemessen am Deflator der privaten Konsumausgaben (dem von der Fed bevorzugten Inflationsmaß), bei 3,4 Prozent, bis zum Februar sank dieser Wert auf 2,8 Prozent und liegt damit also weiterhin spürbar über dem Zielwert von 2 Prozent. Für die Erwartung, dass die „letzte Meile“, also die Zurückführung der Inflation von 3 Prozent auf 2 Prozent, am schwierigsten zu bewältigen ist, gab es sowohl gute theoretische Argumente als auch eine reiche empirische Evidenz. Zum einen laufen Basiseffekte aus, die noch im Jahr 2023 den Rückgang der Inflation begünstigten – die am niedrigsten hängenden Früchte sind inzwischen abgeerntet. Zum anderen erlaubt die weiterhin positive gesamtwirtschaftliche Nachfrage vielen Unternehmen Preissteigerungen. Letzteres ist besonders im Dienstleistungssektor mit der Folge zu beobachten, dass die jährliche Preissteigerung hier noch immer 5 Prozent beträgt. Die zwischenzeitliche Zinssenkungseuphorie der Märkte beruhte darauf, die günstigen Inflationsdaten der Monate Oktober bis Dezember fortzuschreiben und vorhandene Risiken auszublenden. Begünstigt wurde dieses Vorgehen durch positive Äußerungen von Fed-Chef Powell im Dezember. Die Inflationsdaten für Januar und Februar waren, gemessen an den hochfliegenden Erwartungen, eine Enttäuschung, entsprachen aber insgesamt dem grundsätzlichen ökonomischen Befund. Sowohl der Anstieg der Rendite 10-jähiger US-Staatsanleihen im Herbst auf bis zu 5 Prozent als auch der schnelle Rückgang auf 3,75 Prozent innerhalb weniger Wochen waren deshalb eindeutig Übertreibungen, die von der ökonomischen Realität nicht gedeckt waren.
Der Deflator der privaten Konsumausgaben könnte bis zur Jahresmitte tatsächlich auf etwa 2,5 Prozent sinken und der Fed damit die allseits erwartete erste Zinssenkung erlauben. Für das zweite Halbjahr bestehen allerdings erhebliche Unsicherheiten: Damit die Inflationsrate nachhaltig sinken kann, müsste die gesamtwirtschaftliche Nachfrage deutlich zurückgehen, was sehr wahrscheinlich eine moderate Rezession der US-Wirtschaft zum Jahresende zur Folge hätte. Die Fed dürfte darauf mit stärkeren Zinssenkungen reagieren, als derzeit von den Märkten erwartet. Im Alternativszenario einer anhaltend robusten Konjunktur droht dagegen ein erneuter Anstieg der Preise und damit die befürchtete zweite Inflationswelle. In diesem Fall könnte die Fed gezwungen sein, vorgenommene Zinssenkungen rückgängig zu machen, was perspektivisch erst recht zu einer Rezession führen würde. Egal welches Szenario sich am Ende durchsetzt: Dass es so kommt, wie die Märkte derzeit erwarten, ist so oder so unwahrscheinlich.